Die Anlage der Kieler Altstadt ist gut dokumentiert und bietet wesentliche Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion (Feiler, 1996). Der Plan zeigt die Lage der St. Nikolaikirche am zentralen Marktplatz, die des Franziskanerklosters in der Nähe des Kleinen Kiels, der Burg bzw. des späteren Schlosses, der Stadtmauer, den Verlauf der Straßen (der großenteils auch heute noch den damaligen Gegebenheiten entspricht) und die Höhenlinien (entsprechen der pleistozänen Oberfläche – Feiler, 1996) sowie die Uferzonen.
Besonders hilfreich sind auch die Maßstabsangaben. Dieser Plan entsteht auf Grundlage der Ausgrabungen und Auswertung der vorhandenen Quellen. Die Bezeichnungen LA21, LA23 und LA24 beziehen sich auf konkrete Ausgrabungsstellen (Albrecht & Feiler, 1996, Feiler 1996).
Auch wenn sich teilweise ältere Siedlungsspuren nachweisen lassen (LA21), ist Kiel im Rahmen einer kompletten Neugründung entstanden. Der zentrale Marktplatz und die symmetrisch, rechtwinklig davon ausgehenden Straße belegen dies (Willert, 1990).
Die Altstadtinsel umfasst ca. 18ha und die Ostsee und der Kleine Kiel bilden eine natürliche Barriere, die eine gute Verteidigung sicherstellen. Allerdings sind dadurch einer Besiedlung enge Grenzen gesetzt – die Halbinsel bietet nur Platz für ca. 300 Siedlungsgrundstücke (Grieser, et al., 1991).
Wenn auch erst im 19. Jahrhundert entstanden, bietet die Thalbitzer’sche Karte hilfreiche Orientierungspunkte – insbesondere für das weitere Umfeld.
Darüber hinaus ist sie die einzige Quelle, aus der sich Rückschlüsse für die ursprüngliche Lage und Ausmaße des Galgenteichs, des Schreventeichs, des Ziegelteichs, des Kleinen Kiels und der Förde ziehen lassen.
Historische Straßen
Das mittelalterliche Kiel ist keine gewachsene Stadt. Sie wird komplett neu angelegt und nach einem idealtypischen, mittelalterlichen Stadtbild entworfen und gebaut. Die Straßenachsen werden fast rechtwinklig angelegt und laufen auf das Zentrum zu – der Nikolaikirche und dem Marktplatz.
Die Straßenführung und die Namen sind – mit wenigen Ausnahmen – bis heute erhalten geblieben (Quelle: Kieler Straßenlexikon).
- Holstenstraße
angelegt: 1242
1264: Platea pontis (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1473: Brughestrate, teilweise auch schon Holstenstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
1525: Holstenstrate (Zweites Kieler Rentenbuch 1487-1586)Verlauf: vom Markt bis Holstenbrücke/Holstentor – Holsten Thor
- Dänische Straße
angelegt: 1242
1266: Platea danorum (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1472: Denssche (Denszke) Strate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)Verlauf: vom Markt bis Denssche Thor (nach Dänemark)
- Burgstraße
keine mittelalterlichen Daten vorhanden.
Verlauf: vor dem Kieler Schloss - Faulstraße
angelegt: 1320 (erste Erwähnung)
1320: Platea immunda (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
1476: Vulstrate/Vulenstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)Verlauf: von der Holstenstraße bis zur Haßstraße – parallel zur Stadtmauer im Süden/Westen
- Fischerstraße/Ritterstraße
angelegt: 12421266: Platea militum (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1468: Platea militum et piscatorum (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
1473: Ridderstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
1475: Visscherstrate (Kieler Erbebuch 1411 – 1604)Verlauf: obere Schlossstraße bis östliche Stadtmauer – Visscher Thor
- Flämische Straße
angelegt: 12421264: Platea flemmigorum (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1472: Flemessche Strate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)Verlauf: vom Markt an Richtung östliche Stadtmauer – Flämisches Tor
- Haßstraße/Hirschstraße
angelegt: 12421264: Platea cervorum (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1472: Hertstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)Verlauf: vom Markt Richtung Kleiner Kiel – westliche Stadtmauer
- Kehdenstraße
angelegt: 12421264: Platea kediggourm (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1472: Kedinckstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)Verlauf: vom Markt Richtung Süden bis zur Stadtmauer
- Küterstraße
angelegt: 12421242: Platea cutere (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1301: Platea fartorum (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
1473: Kuterstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1487.1586)Verlauf: vom Markt Richtung westliche Stadtmauer – Küter Thor
- Pfaffenstraße/Eggerstedtstraße
angelegt: 12421284: Platea clericorum (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1378: Papenstrate (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
Verlauf: von Schuhmacherstraße Richtung südliche Stadtmauer - Rosenstraße
angelegt: 1324 (erste Erwähnung)1321: Apud macellas carnificium (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
1478: Tegen den Vleszboden (Kieler Erbebuch 1411-1604)
1562: RosenstrateVerlauf: südlich am Markt
- Schuhmacherstraße
angelegt: 12421264: Platea sutorum (Kieler Stadtbuch 1264–1289)
1472: Schomakerstraten (Ältestes Kieler Rentenbuch 1300-1487)
Verlauf: vom Markt Richtung östliche Stadtmauer – Schomaker Thor
Für die Herkunft der Straßennamen und deren Bedeutung gibt es keine belastbaren Quellen. Nach meiner Einschätzung sind diese von spekulativ bis falsch oder basieren auf Vermutungen und vermeintlich logischen Schlussfolgerungen. Ich versuche hier eine möglichst authentische Einschätzung wiederzugeben:
- Holstenstraße: die Straße, die ins Holstenland führt.
- Dänische Straße: die Straße, die nach Dänemark führt.
- Burgstraße: die Straße an der Burg
- Faulstraße: angeblich nach dem Gestank der Abfälle benannt, die sich dort angesammelt haben. Ich vermute einen Zusammenhang mit den Gerbereien, die dort in der Nähe angesiedelt sind (vergleiche: Faktencheck Mittelalter).
Die gleiche Vermutung wird für die Rosenstraße angestellt – dort sollen angeblich die Küter ihre Fleischabfälle auf die Straße geworfen haben. Also eine mittelalterliche Schmähbezeichnung für den eigentlichen Gestank? - Schuhmacher– und Pfaffenstraße verweisen hingegen auf Berufsgruppen, die dort tatsächlich ansässig sind. Das Schuhmacherhandwerk ist eines, das in Kiel zahlreich vertreten ist.
- Fischerstraße/Ritterstraße: tatsächlich lebten hier Ritter und später auch Fischer.
- Die Flämische Straße und auch die Kehdenstraße weisen auf Bevölkerungsgruppen hin: Flamen und Kehdinger – allerdings entspricht es wohl mehr dem Wunsch der Stadtgründer und einer mittelalterlichen Werbestrategie. Zumindest lassen sich keine niedergelassenen Flamen – die in Kiel leben – nachweisen.
Neben diesen offiziellen Straßen gibt es zwischen den einzelnen Häusern sicherlich einfache Wege, die sich aus den Alltagsbewegungen der Bürger:innen ergeben.
Sie tragen entweder keine Bezeichnung oder sind nicht überliefert. Eine geschlossene, einheitliche Bebauung mit Steinhäusern ist für die Zeit des Mittelalters nicht wahrscheinlich. Wir müssen bedenken, dass alle derzeit bekannten Darstellungen in der Neuzeit entstanden sind.
An der Straßenseite der Hauptstraßen werden giebelständige Holz- und Fachwerkhäuser gebaut. Diese lassen sich sowohl als Wohn- als auch als Gewerbehäuser nutzen.
Die rückseitigen Grundstücke dienen dem Anbau von Nutzpflanzen, der Kleintierhaltung oder dem jeweiligen Gewerbe und Handwerk.
Schon in der Gründungszeit gibt es steinerne Wohngebäude – Kemenaten.
Die Gebäude, die wohl von den Ratsherren und anderen wohlhabenden Bürger:innen – wie dem Adel – errichtet werden, liegen meist im hinteren Bereich der Grundstücke. Zur Straße hin stehen einfachere Gebäude (Grieser, et al., 1991)
Im 14. Jahrhundert werden vermehrt Backsteinhäuser gebaut und seit dem 15. Jahrhundert gibt es am Markt, in der Holstenstraße und in der Kehdenstraße mehrgeschossige, steinerne Giebelhäuser mit den charakteristischen Treppengiebeln (Grieser, et al., 1991).