Ich erhebe mit meiner Dokumentation keinen wissenschaftlichen Anspruch. Ich bin kein Historiker und auch in anderen Bereichen fehlt mir das nötige Rüstzeug und die methodische Kompetenz.
Das gibt mir aber auch die notwendige künstlerische Freiheit, die vorliegenden Quellen zu interpretieren und bestehende Lücken „flexibel“ zu füllen. Ich habe aber den Anspruch, ein möglichst realistisches Bild der Stadt Kiel im Mittelalter zu präsentieren.
Auf die verwendeten Quellen verweise ich direkt im Text und im Literatur- und Quellenverzeichnis. Wenn ich Inhalte aufgrund eigener Schlussfolgerungen erstelle, weise ich explizit darauf hin.
Darüber hinaus habe ich mich – als Laie – mit folgenden Fragestellungen und Aspekten beschäftigt:
Welchen Zeitraum umfasst das Mittelalter?
Das Mittelalter als weltumfassende Epoche hat es nicht gegeben. Bestenfalls ist sie auf Europa zu beziehen und auch dort gibt es regionale Unterschiede (Müller, 2015), (Wickham, 2016). So ist für die Kiel die Nähe zu Dänemark, dem Baltikum und die Mitgliedschaft in der Hanse relevant (Hill, 2019).
Allgemein gehen Historiker:innen davon aus, dass Kiel Mitte des 13. Jahrhunderts gegründet und mit dem „lübschen Stadtrecht“ ausgestattet wird (Willert, 1990). Gibt es auch bereits aus dem 12. Jahrhundert Siedlungsspuren (Albrecht & Feiler, 1996), beginnt die Geschichte Kiels somit erst im Spätmittelalter.
Welche Quellen stehen zur Verfügung?
Die Quellen sind zum Teil lückenhaft, fehlen gänzlich, werden unterschiedlich interpretiert oder deren Echtheit ist nicht immer geklärt. Hier nur einige Beispiele:
Die Gründungsurkunde ist verschollen, die Echtheit der Abschrift aus dem 18. Jahrhundert ist nicht abschließend geklärt (Willert, 1990).
Die Grabplatte Adolf IV.– dem Initiator der Stadtgründung – ist nicht das Original aus dem 13. Jahrhundert. Sie ist vermutlich erst im 14. oder 15. Jahrhundert entstanden und weist sowohl in der Darstellung als auch in der Inschrift Fehler auf (Redeker, 1964). Die Inschrift nennt das Jahr 1228 als Eintritt in den Franziskanerorden – korrekt ist das Jahr 1239. Das dargestellte Wappen führen erst die Söhne Adolf IV. Er selbst nutzte den aufrechten Löwen (Redeker, 1964).
Haensel geht in seiner Arbeit davon aus, dass es keine signifikante Tätigkeit von Musiker:innen und Spielleuten im mittelalterlichen Kiel gegeben hat und verweist auf fehlende Quellen (Haensel, 1971). Willert findet in den gleichen Quellen hingegen den Nachweis für die Existenz eines Tanzhauses im 14. Jahrhundert (Willert, 1990) – das ist ohne Musiker:innen nicht denkbar.
„Geschichte wird von den Mächtigen und Sieger:innen geschrieben“. Während die Hansestadt Lübeck die Vitalienbrüder ausschließlich als Piraten(„pyratae“) oder Seeräuber („zeerouere“) darstellt und Kiel als „Piratennest“ bezeichnet – sieht die schauenburgische Herrschaft in ihnen legitime und mit Kaperrechten ausgestattete Seefahrer und Söldner (Hill, 2019).
In den Quellen und in der historischen Betrachtung findet sich fast nichts über das Franziskanerkloster. Dies ist umso verwunderlicher, als dass der Stifter und Mitbruder dieses Kloster – der ehemalige Graf Adolf IV. – eine relevante Rolle in der holsteinischen Geschichte und bei der Stadtgründung Kiel gespielt hat. Auf diesen Sachverhalt gehe ich im Kapitel „Kieler Kloster“ genauer ein.
Lässt sich der Zeitraum für eine virtuelle Rekonstruktion bestimmen oder eingrenzen?
Die gesamten mittelalterlichen Strukturen in Kiel sind der Zeit zum Opfer gefallen. Der 2. Weltkrieg und der Wiederaufbau haben dann letzte Reste beseitigt. Umfassende Ausgrabungsarbeiten – wie in Lübeck – gibt es in Kiel nicht. Es handelt sich meistens um Notgrabungen (Albrecht & Feiler, 1996). Die gefunden Artefakte sind verschollen, auf irgendeinen Bauhof zwischengelagert oder gezielt beseitigt worden (Albrecht & Feiler, 1996).
Heute sind lediglich einen Teil des Kreuzgangs des Kieler Klosters, einige Grabsteine und Artefakte – wie der Altar von 1460 – zu besichtigen. Das älteste, erhaltene Gebäude in Kiel ist der Warleberger Hof von 1616. Die Nikolaikirche wurde Ende des 19. Jahrhundert Neu-Gotisch renoviert und entsprechend ihrer ursprünglichen Gestalt beraubt. Im 2. Weltkrieg weitestgehend zerstört, erfolgt der Wiederaufbau nicht nach historischem Vorbild.
Aufgrund dieser Ausgangslage werde ich alle Artefakte und Gebäude, die ich rekonstruieren kann – weitestgehend unabhängig von der Entstehung – nebeneinander verwirklichen.
Die ältesten Abbildungen der Stadt Kiel werfen ebenfalls Fragen auf. In vielen Quellen wird der Kupferstich von Braun-Hogenberg als älteste Quelle genannt. Im Archiv des Landesamtes für Denkmalpflege gibt es jedoch die Darstellung von Greve aus dem Jahr 1585.
In dieser Abbildung ist die Stadtmauer als intaktes Bauwerk vorhanden. Da stellen sich die Fragen: Ist die Stadtmauerinnerhalb von 3 Jahren verfallen – wie in dem Kupferstich von Braun und Hogenberg dargestellt? Hat Johann Greve seine Ansicht verfälscht, damit sie heiler und geschlossener wirkt oder weil die Auftraggeber:innen es so wollten? Auffällig ist auch das einige Darstellungen von Greve von Braun und Hogenberg übernommen werden – ein mittelalterliches Plagiat?
Das Kieler Umland
Ende des 12. Jahrhunderts beschreibt der Leiter der Bremer Domschule – Adalbert –, dass vom Plöner See, wo er die Quelle der Schwentine verortet, bis zu deren Mündung in die Ostsee ein nahezu undurchdringlicher Wald – der Isarnho, der Eisenwald – liegt, der bis nach Schleswig reicht. In diesem Wald gibt es verstreut einige slawische Siedlungen (Grieser, et al., 1991).
1220-1230 entstanden in der Nähe der Kieler Förde einige Dörfer (Grieser, et al., 1991): Mielkendorf, Molfsee, Drachsee[1], Mannhagen, Martbernestorp[2], Russee, Nerseh, Uppant[3] – am Ostufer entstehen Heikendorf, Nikolausdorf und Hemmingherstorp[4].